Die Psyche der Deutschen
Keine Sorge, ich plane nicht , die deutsche Psyche in ihrer Gesamtheit offenzulegen. Das würde etwas länger dauern. Ich beschreibe hier lediglich ein kleines Detail aus dem Alltag der Deutschen. Ich finde es dennoch recht aufschlussreich.

Es ist bekannt, dass der Deutsche sehr versicherungsfreudig ist, gern auf Nummer Sicher geht und lieber eine Versicherung zu viel als zu wenig abschließt.
Neben der Vorsicht zeichnet sich der Deutsche auch durch eine verhältnismäßig hohe Disziplin aus. Betrachtet man den deutschen Autofahrer, so weicht zwar eine kleinere Gruppe Drängler und Raser davon ab, die Mehrheit der Autofahrer hält sich meiner Beobachtung nach aber durchaus die meiste Zeit im "erweiterten" Rahmen der Vorschriften auf. Die einzige von mir häufig beobachtete Widerspenstigkeit, die von den meisten vermutlich nicht einmal als solche wahrgenommen wird, ist das Verweigern des an sich vorgeschriebenen Blinkens.

Interessant zu beobachten ist das Verhalten der deutschen Verkehrsteilnehmer in einem Stau auf der Autobahn, der durch die aufgrund von Bauarbeiten verursachte Verengung der Fahrspuren von zwei auf eine Spur entsteht.
Hierzu die Preisfrage an Sie: Auf welcher Spur kommen Sie in diesem Fall am schnellsten voran? Wenn Sie diese Frage überrascht und ratlos macht, gehören Sie vielleicht auch zu den Fahrern, die, ohne es zu ahnen, dafür sorgen, dass eine der zwei Spuren immer schneller zur Engstelle führt als die andere.

Die Antwort auf die Frage lautet: Die blockierte ist grundsätzlich die schnellere der beiden Fahrspuren. Das liegt am Verhalten der Mehrheit der deutschen Autofahrer. Seit Jahren ist dieses Verhalten unverändert und meiner Einschätzung nach wird sich daran auch in hundert Jahren nichts ändern, es sei denn, dass dann Computer das Fahren übernommen haben.
Hier kommt ein weiterer Charakterzug vieler Deutschen zum Tragen, das Pendant zum Sicherheitsdenken, die Ängstlichkeit. Die Befürchtung als frech und unverfroren zu gelten und deshalb den Unmut der anderen Fahrzeuglenker auf sich zu lenken. Sie glauben, dass man direkt an der Engstelle nur unwillig auf die Spur gelassen wird, die durch diese hindurch führt. Daher wird vermieden, auf der Spur, die blockiert ist, bis ganz nach vorne zu fahren. Sobald feststeht, welche die blockierte Spur ist, wird nach einer Möglichkeit, einer Lücke gesucht, um auf die „sichere“ Spur, die Spur, die durch die Engstelle führt, zu wechseln. Man kann dann immer beobachten wie die ersten Autolenker langsam werden oder sogar anhalten und unbedingt auf die andere Spur möchten, obwohl sie noch hunderte Meter von der Engstelle entfernt sind. Bis ganz nach vorne trauen sich die wenigsten.

Obwohl Automobil-Clubs immer wieder einmal darauf hinweisen und manchmal sogar Hinweisschilder vor Dauer-Engstellen, das gewünschte Verhalten anzeigen, klappt in Deutschland meiner Beobachtung nach das Reißverschlussverfahren so gut wie nie. Noch schlimmer, obwohl jedem mit ausreichend Verstand ausgestattetem Autofahrer klar sein müsste, was das richtige Verhalten in solchen Fällen ist, wird es nicht umgesetzt. Der Witz an der Sache ist, dass sich über das Reißverschlussverfahren niemand beschweren kann, da es dabei absolut gerecht zugeht, sich keiner Vorteile verschaffen kann und niemand benachteiligt wird. Für alle ist die Wartezeit im Stau gleich, keine Spur ist schneller als die andere an der Engstelle. Das ganze funktioniert aber nur, wenn auf beiden Spuren bis ganz an die Engstelle gefahren wird.
Das Reißverschlussverfahren wäre also die optimale Lösung. Nur doof, dass das mit den deutschen Autofahrern nicht zu machen ist. Ich frage mich, warum?
Und das frage ich, obwohl ich zu den Profiteuren dieses Verhaltens gehöre.
Bei jährlich 2 Mio. Unfällen und täglich 7 Geisterfahrern auf Deutschlands Straßen ist kaum anzunehmen, dass alle verstehen, was sie da tun. Um noch einmal das Blinken der Autofahrer zu bemühen, habe ich manchmal große Zweifel daran, dass ein Großteil auch nur einmal über den Sinn des Blinkens nachgedacht hat. Anders kann ich mir das oft sinnlose (viel zu späte) oder Gar-Nicht-Blinken nicht erklären. Die notorischen Nichtblinker können, so vermute ich zumindest, im sonstigen Leben auch nicht die sympathischsten Zeitgenossen sein. Der Unterschied zwischen Stinkefinger-Zeigen und Nicht-Blinken ist meinem Empfinden nach nicht sehr groß. Ich blinke, weil ich es für sinnvoll halte und weil ich ein höflicher Mensch bin, nicht weil es Vorschrift ist. Den Sinnlos-Blinkern kann ich nur wünschen, dass sie andere Bereiche ihres Lebens intensiver hinterfragen als die Richtungsanzeige ihres Fahrzeugs.

Nicht nur Erkenntnisse wie sie beispielsweise aus dem Milgram-Experiment stammen, lassen mich darüber staunen, zu was vermeintlich aufgeklärte Menschen fähig sind, auch im Alltag kann man bei genauem Hinsehen eine Vielzahl an Merkwürdigkeiten feststellen.

Auf einer vierspurigen Autobahn wie zu Beginn der A8 von München nach Salzburg finden sich wie selbstverständlich die LKWs auf der ganz rechten Fahrbahn und die PKWs auf den beiden linken Spuren ein. Die zweite Spur von rechts in Fahrtrichtung wird so gut wie gar nicht frequentiert. Ich nehme an , dass das ein Naturgesetz sein muss. Ok, ein schlechter Witz. Ich glaube, dass drei Spuren völlig ausreichend sind. Alles darüber hinaus überfordert die Mehrzahl der Autofahrer.

In einem Fernsehbeitrag war einmal zu sehen, dass der Fahrer eines Mercedes von der Autobahnpolizei angehalten wurde, weil er notorisch recht gemächlich auf der linken Spur unterwegs war. Damit konfrontiert äußerte dieser, dass das Rechtsfahrgebot ja wohl nicht für Fahrzeuge mit dem Stern gelten könne. In diesen Fällen muss man sich die Frage stellen, ob die Hürden für den Erwerb des Führerscheins nicht zu niedrig angesiedelt sind.




seemuse am 28.Feb 11  |  Permalink
oh, das ist in österr. nicht anders! bei uns wurde offensichtlich das reissverschluss-system auch nochnicht erfunden. aber das böswillige "bei mir kommst du nicht rein"-zumachen wenn man es wagt vorzufahren, ja das beherrschen alle!

(mich wundert nur, wie es menschen die keine ahnung vom reissverschluss-system haben, es schaffen, die zippverschlüsse an ihren jacken unfallfrei zuzumachen (-;

einemaria am 28.Feb 11  |  Permalink
ich stimme Ihnen fast voll und ganz zu
und möchte noch hinzusetzen, daß es für den Stau auf deutschen Autobahnen kein Nadelöhr benötigt. Wo ich Ihnen nicht zustimme ist das "vermeintlich Aufgeklärte". Hier hilft auch vermeintlich nicht und es betrifft nicht Deutsche, sondern uns alle eingeschlossen.

PS: Stosse zum ersten mal auf ein gleiches Layout und dann werden auch noch unsere Texte zeitgleich öffentlich. Schön.

breazzless am 03.Mär 11  |  Permalink
Seemuse, stimmt, das Androhen des Verhaltens "bei mir kommst du nicht rein" beherrschen die Autofahrer besser als das Reißverschlussverfahren. Wenn auch selten gerne, aber reinlassen mussten sie mich dennoch immer.

EineMaria, in der Mode wäre es äußerst peinlich, wenn Sie dasselbe Kleidungsstück tragen würden wie ich. Beim Layout der Bloggseiten ist das nicht weiter tragisch, hat mich aber dennoch bewogen, ein kleines Facelifting am an sich schönen Blätterwerk vorzunehmen. Das neue Bild ist im übrigen eine Eigenproduktion.