Der Flug (ch)
Eine Stunde und zehn Minuten saß ich im A320 neben einer hübschen Frau.
Als ich von meinem Platz am Gang aufgestanden war, damit sie sich auf ihren Platz am Fenster setzen konnte, und sie mein Lächeln mit einem eigenen Lächeln quittiert hatte, war mir klar, dass sie sich darüber freute, dass der Zufall sie auf meinen Nachbarsitz geführt hatte. Es dauerte auch nicht lange bis sie mich noch etwas verstohlen von der Seite betrachtete.

Sie hatte an diesem Tag einfach Pech. Ich war am Morgen um 3:45 Uhr aufgestanden, um von Zürich nach Berlin zu einem Kunden zu fliegen, und als es abends um 19:15 Uhr zurück nach Zürich ging, war ich müde und auch etwas frustriert darüber, dass ich die vergangene kurze Nacht schlecht geschlafen und der Arbeitstag einige böse Überraschungen offenbart hatte, was zwangsläufig Stress bedeutete. Außerdem gibt es eine andere Frau, an der mein Herz hängt.

Ich war daher nicht in der Stimmung, mich auf ein Gespräch einzulassen und darauf, Frauen schöne Augen zu machen, stehe ich sowieso nicht, weil man am Ende mit einem unbefriedigenden Gefühl auseinander geht. Indem ich in dem Buch „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ las, was schon an sich ein ungewöhnlicher Anblick für einen Anzugträger ist, versuchte ich die Müdigkeit zu verscheuchen und ihr zu demonstrieren, dass eine hübsche Frau neben mir sitzen kann, ohne befürchten zu müssen, angeglotzt oder angebaggert zu werden. So etwas kann schließlich auch lästig sein, zumal wenn es durch einen wenig einfühlsamen Mann passiert. Die Sorte Mann, die ungeniert jeder hübschen Frau hinterherglotzt, ist meiner Beobachtung nach weit verbreitet. Vielleicht täusche ich mich ja und Frauen gefällt es trotzdem besser als nicht beachtet zu werden.

Selbstbewusste, sich ihrer Wirkung sichere Frauen, verstehen sich darauf, einen Mann scheinbar heimlich zu betrachten und sich dabei sehr wohl darüber im Klaren zu sein, dass dem Mann diese Blicke nicht völlig verborgen bleiben können, was letztlich einer Aufforderung gleich kommt.
Nach der Landung , nachdem sie mich während des Fluges mehrmals ausgiebig betrachtet und ich so getan hatte, als würde ich es nicht bemerken oder es mir gleichgültig sein, war deutlich zu spüren, dass sie gleichzeitig fasziniert, abgestossen, verblüfft und verwirrt war. Eine Frau, die gewohnt ist, dass bewundernde Blicke jeden ihrer Schritte verfolgen, wird von mir einfach nicht beachtet!

Ein wenig musste ich innerlich schmunzeln, ein bisschen tat sie mir leid und ein bisschen tat am Ende auch ich mir leid. Ihr Selbstbewusstsein bekommt davon hoffentlich keinen Knacks. Sie ist nämlich wirklich hübsch.